Bonus: Nachgehawkt bei Michael-Shawn Dugar
Ein Gespräch über das diskriminierende Konzept unbezahlter Praktika, Ausbeutung im College Football, Ideen zur Beseitigung von Ungleichheit und den Umgang der Seahawks mit Black Lives Matter.
Im Newsletter der vergangenen Woche habe ich euch für den heutigen Tag Teil 2 des Interviews mit Michael-Shawn Dugar von The Athletic versprochen. Gemeinsam mit Teil 1 findet ihr hier nun die Fortsetzung unseres Gesprächs über Rassismus und darüber, wie sich dieser in der Gesellschaft, sei es im Sportjournalismus oder im American Football, äußert.
Ich habe mir vorher lange Gedanken gemacht, ob meine Anfrage bei Mike so in Ordnung ist. Schließlich ist er ein kompetenter Reporter, der über die Seattle Seahawks berichtet und deshalb gerade zu sportlichen Themen ein idealer Gesprächspartner wäre. Aber Mike ist auch ein Schwarzer Journalist, der auf dem Weg in die Medienbranche viele Hindernisse überwinden musste. Ich bin froh, dass er sich bereit erklärt hat, mit mir über ein schwieriges Thema zu sprechen, also eine “Uncomfortable Conversation” zu führen.
Wir haben das Interview in der frühen Phase der Free Agency geführt. Die starke Geschichte zu den Wilson-Carroll-Differenzen, an der Mike mitgearbeitet hatte, war zu diesem Zeitpunkt immer noch der Status Quo (den viele andere Outlets ausschlachten wollten, ohne Neues zu verbreiten). Mein Gesprächspartner war deshalb ganz froh, nicht über Russell Wilson sprechen zu müssen.
Wenn ihr Teil 1 bereits gelesen habt, könnt ihr für Teil 2 nun bis zur nächsten horizontalen Linie scrollen.
Mike, ich möchte unser Gespräch beginnen mit einem Tweet der NFL-Network-Reporterin Jane Slater. Vor einigen Wochen schrieb sie von einem aufregenden Praktikum, das sie vermitteln könne. Unbezahlt, aber eben eine gute Erfahrung. Die Intention dahinter war vermutlich gut. Warum war der Tweet dennoch problematisch?
Gratis arbeiten ist schlecht. Wenn du es vermeiden kannst, solltest du das. Leute, die sich unbezahlte Praktika leisten können, haben meist Privilegien, ob das sich nun auf ihre Hautfarbe oder Schicht bezieht. In der Regel können weiße Menschen es sich leisten, auf Einkommen zu verzichten, beispielsweise, weil sie von ihrer Familie unterstützt werden. Das erkennt man, wenn man sich das Wohlstandsgefälle in den USA ansieht. Somit schließen unbezahlte Praktika marginalisierte Gruppen aus – speziell im extrem weißen, männlichen, christlichen und heterosexuellen Berufsfeld Journalismus –, die es sich nicht leisten können, für lau zu arbeiten, weil sie etwas essen wollen und Rechnungen bezahlen müssen. Mein Problem mit dem Tweet bezieht sich also nicht auf das von Jane angebotene Praktikum. Ich weiß nicht einmal, um was es dabei genau ging…
…es ging darum, Draft-Kandidaten via Zoom zu interviewen.
Damit öffnete sie die Büchse der Pandora für unbezahlte Praktika. Und das führte zu Diskussionen. Auch, weil sich von meiner eben begründeten Position Menschen angegriffen fühlten, die sagten, dass sie solche unbezahlten Praktika absolviert hätten und trotzdem nicht privilegiert seien. Das mag in Einzelfällen so sein. Aber da wären wir dann beim zweiten Problem des Konzepts von unbezahlter Arbeit.
Und das wäre?
Das Narrativ, dass harte Arbeit für umsonst, also der „Grind“, einfach dazugehört. Dass man da durch muss, um Erfahrung und irgendwann ein Gehalt zu bekommen. So ist es aber nicht. Es kann nicht sein, dass man pleite ist, weil man in einem Berufsfeld Fuß fassen will. Im Journalismus oder Baugewerbe. Als Lehrer oder Krankenschwester. Ich habe bei der Debatte ein Problem damit, das Gratis-Arbeit für manche Menschen grundsätzlich Teil des Prozesses ist.
Wenn Leute sagen, dass man hart Arbeiten muss, zur Not eben einen bezahlten Job zusätzlich aufzunehmen, um einen Fuß in die Tür zu bekommen, dann bewerben sie quasi die Idee, ausgenutzt zu werden, um irgendwann vielleicht den Traumjob zu landen?
Genau. Und dadurch entsteht der Eindruck, dass gesellschaftlicher Aufstieg hierzulande nur durch Leistung möglich ist. Dieser Eindruck ist falsch. Gerade im Journalismus bekommen nicht die besten Autoren die Jobs, sondern die, die gute Connections haben. Gut sein ist ein Bonus, aber es kommt nicht wirklich darauf an, wie hart du gearbeitet hast oder wie talentiert du bist. Wir sollten diesen Eindruck nicht aufrechterhalten, insbesondere nicht, wenn Nicht-Weiße am Ende mit den Konsequenzen leben müssen.
Ich versuche mal einen Vergleich. Siehst Du in diesem Szenario Parallelen zwischen angehenden Journalisten und College-Sportlern? Auch die sind unbezahlte Arbeitskräfte in einer Milliardenindustrie. Und auch ihre Chance, am Ende einen bezahlten Job zu landen, ist verschwindend gering.
Ich glaube, der Vergleich funktioniert in Bezug auf die Tatsache, dass in beiden Industrien das Geld ja vorhanden ist und die Leute trotzdem nicht bezahlt werden. Cheftrainer verdienen Millionen. Nick Saban, Head Coach von Alabama Football, fährt einen maßgefertigten Mercedes-Benz. Selbst an meiner Alma Mater Washington State, die 30 Millionen US-Dollar Schulden hat, ist Geld vorhanden. Dort haben sie gerade die Namensrechte des Stadions über die kommenden zehn Jahre für elf Millionen US-Dollar verkauft. Aber keiner der Spieler, der Samstags in genau diesem Stadion aufläuft, sieht davon auch nur einen Cent. Das ist für mich die Gemeinsamkeit: Wir bezahlen euch nicht nicht, weil wir nicht können, sondern weil wir nicht wollen.
Ein dagegen immer wieder angeführtes Argument ist, dass die Student-Athletes das ja alles freiwillig machen.
Das Schlimme am College-Sport ist, dass die Studierenden die einzigen sind, die ihre Arbeit aus Liebe zum Spiel machen sollen. Alle anderen Menschen bei einem Footballspiel, die Fans mal ausgenommen, verdienen Geld mit dem, was sie im Stadion tun. Der Journalist, die Person, die den Müll aufsammelt, die Leute, die Tickets kontrollieren und Popcorn verkaufen, die Kommentatoren, die Kameraleute. Die fragt niemand, ob sie aus Liebe zur Arbeit oder im Tausch für ein Studium oder ein paar Gratis-Kleidungsstücke von Nike die Kamera halten oder Tickets checken wollen. Was wir hier sehen, ist die kapitalistische Idee, so viel wie möglich aus unbezahlter Arbeit herauszuquetschen.
Ein weiteres Gegenargument sind die Stipendien, die diese Sportler erhalten. Funktionieren die in gewisser Weise als Druckmittel? Denn viele kommen aus Situationen, die ihnen ohne Sport nie ein Studium ermöglicht hätten.
Diese Ausbildung ist mangelhaft. Wenn man weiß, wie der Stundenplan eines Student-Athletes aussieht, bleibt da nicht viel Zeit fürs Studium. Krafttraining, Nachhilfe, Mannschaftstraining, Spiele, Auswärtsreisen. Diese jungen Menschen sind zuerst Athleten und dann Studenten. Weißt Du, wie viel Turner (Anm.: US-Medienunternehmen) für die TV-Rechte an March Madness bezahlen?
Für das College-Basketball-Turnier zur Bestimmung des nationalen Meisters? Ich habe gelesen, das sind Milliarden.
Milliarden. Das Geld wäre also vorhanden, um die Sportler zu bezahlen. Es gibt keine Gründe, es nicht zu tun. Ich denke die Quintessenz daraus ist, dass diejenigen, die gegen die Bezahlung sind, Student-Athletes einfach pleite sehen wollen. Die NCAA (Anm.: Hochschulsport-Dachverband in den USA) verbietet es dir, deine alten Trikots zu verkaufen. Dein Trainer kann dir den Wechsel an bestimmte Hochschulen verbieten. Das ist Einschränkung von Meinung, Bewegungsfreiheit und Verdienstmöglichkeiten. Im Gegenzug druckt die Uni dein Gesicht auf die Eintrittskarten fürs nächste Spiel oder verschenkt im Stadion Wackelkopf-Figuren von dir an die Zuschauer. Und der Trainer kann jederzeit die Schule wechseln, wenn er ein Angebot bekommt.
In Texas gab es zuletzt einen Vorfall, dass die Spieler der University of Texas in Austin das Lied der Schule nicht mehr singen wollten, weil es die Praxis der Sklaverei vertritt. Daraufhin kam es zum Konflikt mit den einflussreichen Spendern der Schule, die wie an vielen Universitäten das Sportprogramm mitfinanzieren.
Die Spender sagten quasi: Wir bezahlen für euch. Ihr gehört uns. Und deshalb singt ihr gefälligst diesen Song. Und wenn ihr das nicht tut, sorgen wir dafür, dass ihr im Bundesstaat Texas keinen Job finden werdet.
Wir sind jetzt etwas in den College Football abgedriftet. Mich interessiert nun aber zunächst, wie Du im Sportjournalismus gelandet bist, Mike.
Ich habe an der Washington State University Kommunikation studiert und wollte eigentlich TV-Journalismus machen. Mir wurde aber schnell klar gemacht, dass sich dafür mein Aussehen ändern müsste, also meine Frisur oder wie ich gekleidet bin. Ich wollte mir nicht die Haare schneiden, also habe ich mich in Richtung Schreiben orientiert.
Wie hast Du als Schreiber dann in der Industrie Fuß gefasst?
Ich fing als Redakteur bei der Studentenzeitung an. Zu der Zeit merkte ich zum ersten Mal, dass Talent alleine nicht ausreicht, um einen Job zu bekommen. Ich habe die Stelle nicht nur bekommen weil ich schreiben konnte, sondern weil einer meiner Professoren für mich bei einem Verantwortlichen der Moscow-Pullman Daily News (Anm.: Zeitung für Idaho und Washington) ein gutes Wort einlegte. So durfte ich dann über Kunst und Unterhaltung schreiben. Das war zwar kein Sport, aber ein Fuß in der Tür. 2017 wechselte ich zum Seattle Post-Intelligencer und ein Jahr später zu The Athletic. Und hier sind wir jetzt.
Das Thema „Du selbst sein“ haben wir bereits gestreift. Welche Hindernisse musstest Du auf Deinem Weg zum Beat Writer für die Seahawks bei The Athletic überwinden? Ich erinnere mich, dass Du ein paar mal davon berichtet hast, mit den Griffin-Zwillingen verwechselt worden zu sein.
Ja, das passiert. Und ich kann das irgendwo auch verstehen. Aber in der Berufswelt – niemand möchte zugeben, dass das heute noch so ist – gibt es diese Annahme, dass Schwarze in Bereichen, die gute Bildung erfordern, nicht erfolgreich sein können. Wenn ich erzählen würde, dass ich Sportler bin oder Feuerwehrmann, würde das niemanden überraschen. Aber wenn ich behaupten würde, dass ich Professor oder Autor bin, würde das Leute aus der Fassung bringen. Anderes Beispiel: Mach die Augen zu und stelle dir einen Journalisten vor. Du hast keine Schwarze Person im Kopf. Vermutlich auch keine Frau. Wahrscheinlich einen weißen Mann. Und so geht das mit vielen Berufen. Trainer, Genie, Lehrer. Du machst das nicht, weil du ein schlechter Mensch bist, sondern weil du unbewusste Vorurteile hast. Und im Sportjournalismus ist es eben so, dass das Talent eines Schwarzen Mannes ist, so auszusehen wie die Spieler. Nicht dass du tolle Interviews führen oder gut schreiben kannst. Dabei gibt es ja auch weiße Quarterbacks, denen ich nicht ähnlich sehe – von denen ich aber trotzdem erzählen und deren Spiel ich analysieren kann.
Wie haben sich diese Vorurteile auf Deine Arbeit ausgewirkt?
Nach einer Weile nahmen sie ab, zumindest in meiner Gegenwart. Irgendwann merkten die Leute zum Glück: Der kann schreiben. Der kann im Radio auftreten. Der kann einen Podcast machen. Aber das hing auch immer vom Umfeld ab. In Idaho mochte der Trainer die Medien generell nicht. In Seattle, als ich einmal beim Seahawks-Training war, ich weiß nicht mehr ob für den PI oder The Athletic, kam einer der PR-Mitarbeiter des Teams auf mich zu und sagte: „Ich habe gehört, du bist der Neue.“ Und dann sagte er etwas wie: Versau’s nicht. Eine komische Bemerkung, denn wir kannten uns nicht. Warum nicht einfach gratulieren und alles Gute wünschen? Das fühlte sich an wie eine Warnung. Als ob ich von Natur aus nicht bereit sei für diese Aufgabe.
Ich möchte Dir einen Auszug aus einem Text vorlesen. Sie lautet: „Ich repräsentiere nicht nur mich selbst und meine Familie bei diesen Veranstaltungen. Ich vertrete auch diejenigen, die so aussehen wie ich und in meiner Stadt aufwuchsen. Die jahrelang konditioniert wurden, dass der einzige Platz bei einer Sportveranstaltung für sie der als Athlet sein könne.“ Diese Passage stammt aus Deinem Begrüßungstext, als Du bei The Athletic anfingst. Ich halte diese Zeilen für sehr kraftvolle Sätze. Mir haben sie geholfen, die größeren Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Sportmedienwelt ist ein extrem weißes Geschäft, während beispielsweise auf dem Footballfeld primär Schwarze Athleten stehen. Diese Dysbalance fällt sehr stark auf – und sie ist mit Blick auf die Einstiegsfrage auch nicht aus dem Nichts entstanden.
Es ist kein Zufall, dass ich zu einem Spiel der Seahawks oder Mariners oder Huskies gehen kann und die Leute aus meiner Kindheit die sind, die dort die Sandwiches machen oder mir die Tür zum Aufzug aufhalten. Im ersten Jahr als Seahawks-Reporter kam ich fälschlicherweise nicht durch den Presseeingang in der Garage ins Stadion, sondern durch den Haupteingang. Mit einer der Frauen am Einlass war ich zur Schule gegangen. Und dann komme ich oben auf der Presstribüne an und sehe links und rechts nur Weiße. Und das lässt sich auf viele Berufe adaptieren. Wir können uns sogar den Sport selbst anschauen. Wem gehören die Teams? Und wer spielt für die Teams? P. Diddy wollte 2018 die Carolina Panthers kaufen, als sie zum Verkauf standen. Am Ende platzte der Kauf, aber nicht weil ihm das Geld fehlte, sondern weil die Besitzer ihn einfach nicht in ihren Country Club lassen würden.
Ich möchte nicht mit Dir über dieses Thema sprechen, ohne Lösungen zu diskutieren. Studiengebühren sind wie unbezahlte Praktika ein Problem, Vorurteile auch. Können Organisationen wie die NABJ, die National Association of Black Journalists, mit ihrer Arbeit daran etwas ändern?
Diese Organisation fördert eine Minderheit, die ohne Förderung nicht vorankäme. Also fragt sich die NABJ, wie sie Ungleichheit beseitigen kann. Das beginnt damit, dass alle Parteien anerkennen, dass Ungleichheit existiert. Wenn ich bei Twitter etwas über fehlende Chancengleichheit im Journalismus schreiben würde, bekäme ich viel Gegenwind, ironischerweise von Weißen. Wir könnten uns also nicht mal darauf einigen. Und selbst wenn das gelänge, bräuchten wir gemeinsame Anstrengungen, um ausgewogene Verhältnisse herzustellen. Wir wollen vielfältige Redaktionen.
Also eine Quote durchsetzen?
Es braucht mehr als eine Quote. Nehmen wir die „Rooney Rule“ in der NFL, denn die ist ja quasi auch eine Quote. Die Auflage dabei ist, dass man eine nicht weiße Person für einen Posten (Head Coach oder Senior Football Operations) interviewt. Aber was machen die Teams? Sie umgehen die Regel, indem sie einfach einen nicht weißen Kandidaten aus dem eigenen Kreis interviewen, der sowieso kein Interesse am ausgeschriebenen Posten hat.
Was wäre die Alternative?
Ich sehe zwei Möglichkeiten, positiven Wandel zu forcieren. Geldbeutel attackieren und Leute öffentlich an den Pranger stellen, bis sie keine andere Wahl mehr haben. Ich nehme mal meinen Arbeitgeber als Beispiel – ich denke, unsere Gründer würden diese Geschichte heute so bestätigen. Als The Athletic gegründet wurde, arbeiteten dort zunächst vorrangig Weiße. Daraufhin schimpfte Greg Lee, einst auch Präsident der NABJ, bei Twitter über diese unfaire Praxis, argumentierte gut, hatte Belege für fehlende Vielfalt. Er schrieb, dass so kein Fortschritt aussehe. Das Unternehmen hörte davon – und fing daraufhin tatsächlich an, mehr Schwarze Journalisten einzustellen. Mich zum Beispiel, Greg selbst auch. Dieses öffentliche Shaming hat also etwas bewirkt.
Blicken wir mal auf den engen Kreis der Beat Writer, die über die Seahawks berichten. Neben Dir wären da Ben Arthur, der in Zukunft die Titans in Tennessee journalistisch begleiten wird, und Mazvita Maraire. Ihr seid diejenigen, die Rassismus in Geschichten am häufigsten anprangern. Wie sprichst Du mit weißen Kollegen über das Thema?
Alles beginnt mit Bildung. Ich sage das, weil ich gut nachvollziehen kann, wie Weißen die Geschichte ihres Landes beigebracht wurde. Da kommt es dann eben vor, dass jemand im Alter von sagen wir 34 Jahren nicht weiß, wie rassistisch das Militär ist, wie es mit Schwarzen Soldaten umgeht, die aus dem Krieg zurückkehren. Google klärt da auf. Dazu empfehle ich Filme und Dokumentationen. Aber all das hilft nur, wenn dein Gegenüber auch lernwillig ist, ein Verbündeter sein will. Ich habe erst kürzlich einen Song von einem Künstler aus Seattle gehört, Dave B heißt der. Er singt: "Google ist kostenlos. Es ist nicht meine Aufgabe, Weiße aufzuklären, wir sind müde. Es ist nicht meine Aufgabe, dir jeden Morgen Links zu schicken, damit du unrassistisch sein kannst.“ Daraus abgeleitet: Man muss unterstützen wollen, sich fortbilden wollen. Das ist mit Hundewelpen nicht anders. Wenn du sie retten willst, fragst du auch nicht nach einer Anleitung. Die Leidenschaft für eine Sache wird dich zur entsprechenden Facebook-Gruppe oder ins Tierheim führen.
Dein Kollege Corbin Smith war vor seiner Zeit bei Sports Illustrated Geschichtslehrer. Er schrieb bei Twitter, dass die Geschichte der USA in der Schule falsch unterrichtet werde.
Geschichte wurde von den Siegern erzählt. Weißgewaschen. Voller Lügen. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie es in 80 Jahren aussehen wird. Die Literatur über George Floyd und Colin Kaepernick, über die Schnittstellen von Hautfarbe und Sport – sie wird verdammt weiß sein. Weiße werden Helden sein, die auf magische Weise die Empathie entdeckt haben, die „End Racism“ in den Endzonen von Footballfeldern und „Black Lives Matter“ auf Basketballcourts platzierten.
Ein anderer Kollege, Joe Fann von NBC Sports Northwest, schrieb einen starken Kommentar zu Pete Carroll, als der über Colin Kaepernick sprach und darüber, dass er inzwischen bereue, den Quarterback damals nicht verpflichtet zu haben. Fann kritisierte in diesem Kommentar die fehlende stimmige Argumentation des Trainers. Braucht es mehr dieser anti-rassistischen Stimmen im Sportjournalismus?
Ja, von denen gibt es noch zu wenige. Meine Reaktion auf Petes Aussagen im August war: Dude, warum erst jetzt diese Einsicht? Rassismus dürfte kein neues Phänomen für ihn gewesen sein. Carroll war Polizeigewalt gegen Schwarze bereits so nahe, wie er ihr jemals kommen wird: im August 2017, als die Polizei in Las Vegas beinahe Michael Bennett erschoss. Bennett klagte sein Leid im VMAC. Carroll war da. Ich war da. Aber Carroll erreichte damals scheinbar nicht das Level an Mitgefühl, das es gebraucht hätte, um sich so zu äußern wie im vergangenen Sommer. Erst als George Floyd tot war und die Welt vor die Hunde ging, realisierte er, sprach darüber, nahm einen Podcast auf. Dabei war es auch nicht das erste Mal, dass ein Schwarzer vor laufender Kamera getötet worden war. Eric Garner…
…der junge Mann, der 2014 von einem Polizisten zu Tode gewürgt wurde.
Die gleiche Geschichte. Ich bin froh, dass Pete gesagt hat, was er gesagt hat. Aber er hätte das gut auch drei, vier Jahre früher sagen können. Denn es gibt auch ganz andere Trainer. Vic Fangio, Head Coach der Denver Broncos, sagte einmal, dass es keinen Rassismus gebe in der NFL, weil er ihn nie gesehen habe. Darauf möchte ich erwidern, dass er ein Schwachkopf ist. Wir haben im Sport diese Vorstellung, dass nur das Ergebnis zählt. Aber das interessiert den Rassismus nicht. Nur weil alle Spieler Schulterpads tragen, wird der Rassismus nicht vor der Umkleidekabine halt machen. Pete scheint das im Sommer verstanden zu haben, jedenfalls kommunizierte er so. Und davon brauchen wir viel mehr. Wir können nicht bei jedem rassistischen Vorfall gegen Schwarze zu Mike Tomlin und Brian Flores gehen und die nach ihren Gedanken fragen. Ich weiß, was sie denken. Sie sind frustriert. Besser wäre es, mal Bill Belichick, der glaube ich immer noch ein Freund von Trump ist, zu fragen was er denkt. Und wenn er dann etwas Dummes sagt, prangern wir es an.
Was hat sich in der NFL im Kampf gegen Rassismus getan, seit die Tage der emotionalen Statements und Videos vorbei sind? In der Regel kamen die Botschaften von Spielern oder Trainern. Eine einflussreiche Gruppe blieb still – die Teambesitzer.
Nehmen wir das Beispiel Kaepernick. Was Roger Goodell und die Teams zu seiner Angelegenheit sagten, ist keine Entschuldigung. Die beste Entschuldigung wäre eine Verhaltensänderung. Natürlich können sie eingestehen, dass Colin recht hatte mit seinen Vorwürfen. Aber er hat immer noch keinen Job. Und auch bei den Besitzern hat sich rein gar nichts verändert. Wir brauchen die zwei Jahrzehnte alte Rooney Rule immer noch. Wir sprechen immer noch über rassistische Einstellungspraktiken. Wir sehen im College Football immer noch Trainer, die vermeintlich ihre Spieler motivieren wollen und sich dann rassistisch äußern. Wir hören immer noch, dass uns Weiße zurück in den Dschungel oder nach Afrika schicken wollen. Wir haben es noch nicht einmal geschafft, solche Aussagen zu stoppen.
Vor ein paar Tagen gab es bei einem High-School-Basketballspiel in Oklahoma einen rassistischen Vorfall. Der Livestream-Kommentator hatte vergessen, sein Mikrofon stummzuschalten. Als ein paar der Spielerinnen bei der Hymne auf die Knie gingen, beschimpfte er sie.
Er sagte das N-Wort. Und später schob er die Beleidigungen auf seinen niedrigen Blutzucker. Die meisten Menschen mit rassistischem Gedankengut sind smart genug, so etwas nicht öffentlich zu sagen, weil sie sonst „gecancelt“ werden. Auch viele NFL-Besitzer waren immer schon gut darin, ihre wahren Gedanken zu verstecken. Als Bob McNair (Anm.: ehemaliger Besitzer der Houston Texans; 2018 verstorben) von den Gefangenen sprach, die nicht das Gefängnis betreiben dürften, sollte das nicht an die Öffentlichkeit geraten. Er ist kein Einzelfall. Man nehme den Präsidenten der Seattle Mariners…
…Kevin Mather, der sich in einer nicht öffentlichen Zoom-Konferenz vor wohlhabenden Fans des Teams rassistisch über seine ausländischen Spieler äußerte und daraufhin zum Rücktritt gedrängt wurde…
Er ist gewiss nicht die einzige Person im Klub, die so denkt. Er ist auch nicht die einzige Person in der Major League Baseball, die so denkt. Nur würden die meisten Leute nicht bei Zoom darüber sprechen. Der Typ machte einen Fehler und wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Großflächige Verbesserung bleiben aber aus, weil Rassismus diese Menschen nicht stört. Sie tun so, als ob – und lästern dann hinter den Kulissen.
Hast Du das Gefühl, dass der Einfluss von Spielerinnen und Spielern trotzdem etwas bewirken kann? Nehmen wir die WNBA als Beispiel, wo Spielerinnen der Atlanta Dream sich zur Wehr setzten gegen die damalige US-Senatorin und Teambesitzerin Kelly Loeffler. Diese hatte zuvor Black Lives Matter diskreditiert. WNBA-Spielerinnen unterstützten danach aktiv Loefflers demokratischen Herausforderer und trugen zu seiner Wahl bei. Danach verkaufte Loeffler ihre Anteile am Team.
Sie wurde quasi gezwungen. Eine ehemalige Dream-Spielerin, Renee Montgomery, ist inzwischen Mitbesitzerin des Teams.
Die WNBA ist vielleicht nicht so groß und mächtig wie die NFL. Aber glaubst Du, dass auch in der NFL Spieler solchen Wandel forcieren können?
Nein, denn dafür müssten sich die Besitzer für ihre Spieler und deren Schicksal interessieren. An dem Punkt sind wir noch nicht. Rassismus findet einen Weg. Das zeigt sich bei den Verhandlungen zum neuen Tarifvertrag, das zeigt sich bei der Sicherheit der Spieler und bei Entschädigungszahlungen für Langzeitfolgen, das zeigt sich bei Verträgen. Um das zu ändern, helfen nur Schwarze oder eben Nicht-Weiße Besitzer. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt die einzige Antwort. Wenn wir herumsitzen und warten, bis sich Weiße um die Gefühle Schwarzer zu scheren beginnen, werden wir alle irgendwann tot sein. Warten hat noch nie funktioniert. Können wir darauf warten? Nein. Müssen wir die Verantwortlichen zum Handeln zwingen? Ja.
Was gibt Dir Hoffnung, Mike?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viel Hoffnung ich habe. Es ist inzwischen schwieriger, rassistisches Gedankengut zu verstecken. Es kommt durch Social Media schneller ans Tageslicht. Bomani Jones, ein Radiomoderator für ESPN, hat in seinem Twitter-Profil stehen: „Wir sollten nicht so viel Zugang zueinander haben.“ Er hat recht. Sollten wir nicht. Das ist nicht gesund. Aber wir haben ihn und deshalb ist es heute leichter als noch vor ein paar Jahren, Druck auszuüben. Wir müssen uns nicht mehr heimlich treffen, um eine Protestaktion zu planen. Wir müssen nicht mehr Flugblätter auf dem Campus verteilen. Heute kann ein Tweet viral gehen oder ein Video eine Bewegung in Gang bringen. Abgesehen davon fällt es mir schwer, optimistisch in die Zukunft zu blicken.
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